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Progressive Gemeinden in Europa:
die Amerikaner kommen!

JTA News & Features
February 15, 2005

Dinah Spritzer


HANNOVER, DEUTSCHLAND—Im Jahre 1982 suchte Rachel Dohme einen Ort zum Beten weit weg von ihrem Heimatstaat Pittsburgh in den USA.

Rachel Dohme, die heute 54 Jahre alt ist, zog damals nach Hameln 50.000 Einwohner) Deutschland, wo ihr Mann als Pilzzüchter arbeitet. Hamelns nächstgelegene Gemeinde lag ungefähr eine Stunde weit weg in Hannover.

„Ich ging zur Türe der Synagoge und der Mann dort wollte nicht mit mir sprechen“, erinnert sich Rachel. „Er zeigte bloß mit dem Daumen nach oben. Zuerst habe ich nicht verstanden, was er mir sagen wollte, doch als er es noch einmal machte, wurde mir klar, dass ich nach oben in die Frauengallerie zu gehen hatte. Ich wuchs in einer Konservativen Gemeinde auf und war sehr überrascht.“

„Als ich hinunter auf die Maenner schaute, merkte ich, dass dies nicht die Gemeinde fuer mich war. Ich wollte in eine Synagoge gehen, in der meine Tochter zur Torah aufgerufen werden konnte.“

Da es diese Gemeinde noch nicht gab, wurde eine durch Rachel Dohme gegründet.

Dohmes Geschichte ist keine Ausnahme. Viele amerikanische Juden, die Europa zur Wahlheimat machten, waren schockiert, dass es anfangs nur orthodoxe Gemeinden gab. Bei der Tagung der Weltunion fuer Progressives Judentum (WUPJ), die in Hannover stattfand, berichteten viele von ähnlichen Entstehungsge-schichten in ihren Städten. Es fiel auf, dass viele von ihnen Frauen waren. Unzufrieden mit nicht egalitären Gottesdiensten und starrer Orthodoxie, etablierten sie zu-sammen mit Gleichgesinnten Progressive Gemeinden. Diese Pioniere kamen von verschiedenen religiösen Hintergründen, alle mit einem Ziel—die Wiedergeburt progressiven Judentums in Europa.

Neben Dohme, gehören folgende Personen dieser Gruppe an:

  • Arthur Buchmann, 63: Psychologe aus Massachusetts, USA, siedelte nach Kopenhagen um. Er wollte, dass seine Tochter eine jüdische Erziehung bekam, merkte aber, dass es keine nicht-orthodoxen Rabbiner in Dänemark gab.Er entschied sich mit anderen amerikanischen Juden eine progressive Gruppe zu gründen. Was in 1998 als eine Torah Lern-Gruppe begann, entwickelte sich zu der Jüdischen Gemeinde Schir Hatzafon. Heute ist sie eine aktive Gemeinde mit 300 Mitgliedern, bestehend aus Einwanderern und dänischen Bürgern.

  • David Ross, 60: pensionierter US Diplomat und Reiseagenturinhaber aus Milan. Im Jahre 2002, gründete er die 1. Progressive Gemeinde in Italien. Die italienisch jüdische Organisation machte es schwierig fuer Ausländer, Mitglieder zu werden. Verlangt wird viel Dokumentation ihrer Zugehörigkeit zum Jüdischen Volk und letztendlich Unterlagen eines Orthodoxen Rabbiners. „Es ist ein langjähriger Prozess“, sagt Ross, Vorsitzender der Milan Gemeinde Beth Schalom. Diese Prozedur finden amerikanische Juden abstoßend.

  • Lauren Rid, 43, ähnlich wie Dohme, zog, wegen des Berufes ihres Mannes nach Deutschland. Da es nur orthodoxe Vereinigungen in München gab, suchte Rid und fand andere progressive amerikanische Juden und gründete eine Gruppe in München im späten 1980, die die 1. progressive Gemeinde im Nachkriegs-Deutschland wurde—Beth Schalom. „Es war nicht, dass ich etwas Amerikanisches suchte“, sagte Rid,dreifache Mutter aus New York, „Ich suchte etwas, wo ich als religiös Gleichberechtigte teilnehmen konnte, wo Maenner und Frauen beim Torahstudium zusammensitzen und diskutieren durften. So was gab es einfach nicht.“

Für Dohme, fing die Gemeinde, die sie gründete, klein und bescheiden an. Ihre Zusammenarbeit mit Neueinwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion in den frühen 1990iger Jahren, involvierte viele Sozialhilfeleistungen—Kleidung, Sprachkurse und u.a. ein Projekt, „Familie zu Familie“, bei dem Dohmes Freunde und Bekannte eine russische jüdische Familie kennen lernten und gegenseitige Besuche organisiert wurden.

Dieses Integrationspojekt existiert heute noch, wie auch viele beim Projekt entstandene Freundschaften. Für Dohme hatte die jüdische Erziehung der Kinder der Neueinwanderer immer eine sehr hohe Priorität, weshalb sie die Kinder und Jugendlichen unterrichtete. Mit einer aktiven Gruppe russischer Juden, erlebte die Jüdische Gemeinde Hameln ihre Geburtsstunde. Heute eine aktive Gemeinde, bietet sie das komplette religiöse Programm an. Gottesdienste, Torahstudium, Vorträge von Besuchsrabbinern und Gelehrten.

„Eigentlich suchte ich einfach andere Reform Juden mit denen ich mein Judentum teilen konnte.“ erklärte Dohme. Dohmes nicht jüdischer Mann unterstützt seine Frau in ihrer Arbeit. Dohme meint, dass sie typisch ist fuer „viele amerikanische Jüdinnen, die ein Judentum in Europa suchen, mit dem sie sich identifizieren Können, ein Judentum fuer unsere Töchter“.

Es ist erwähnenswert, dass Dohmes Tochter Rebekka als Jungkantorin der Gemeinde fungierte.

Die Jüdische Gemeinde Hameln ist heute 250 Mitglieder stark. Ihr Gemeindezentrum befindet sich in renovierten Räumen, die alle Bedürf-nisse der Gemeinde befriedigen: Betsaal, Klassenzimmer fuer den Unter- richt, Jugendzentrum, Bibliothek, Buero und koschere Küche.

Dohme hat noch einen Traum: sie möchte eine neue Synagoge dorthin bauen wo einst eine stand, bis zu ihrer gewaltsamen Zerstörung durch die Nazis am 9.November 1938. Das historische Land gehört der Gemeinde schon—genauso wie ein Architekt und Pläne—es fehlt nur noch ausreichend Geld für den Beginn .

Zufälligerweise fand der amerikanische Architekt, Arnold A. Oppler, die Hamelner Gemeinde und Dohme während er im Internet ueber seinen Urgroßvater, den berühmten deutsch-jüdischen Architekten Edwin Oppler, recherchierte. Es war naemlich sein Urgroßvater, der die Hamelner Synagoge im Jahre 1879 baute. Für den jüngeren Oppler war es glasklar, dass er Dohme schreiben musste um seine Dienste als Architekt anzubieten und den Oppler'schen Kreis in Hameln zu schließen. Heute sind die Plaene fuer eine neue Synagoge fertig.

„Natürlich brauchen wir Geld um diese Plaene und diesen Traum realisieren zu Können.“ sagt Dohme. „Unsere Mitglieder sind überwiegend Neueinwanderer und haben nicht das nötige Geld.“

Dohme fügt hinzu, dass es neben der Aufgabe Spenden fuer eine Synagoge und einen Rabbiner zu sammeln, die Herausforderung der Mitglieder selbst gibt. Juden, die in ihren Heimatländern der ehemaligen Sowjetunion , nicht Juden sein durften. Hier in ihrer neuen Wahlheimat, möchten sie Juden sein und nehmen ein jüdisches Leben wieder an. Dies ist mehr als zutreffend, wenn man die vielen Bilder, die an den Wänden des Gemeindezentrums Hängen, betrachtet. Fotos von Bar und Bat Mitzwot, Chanukka Feste, Hochzeiten und Baby Namensgebung Zeremonien be-zeugen, dass ein großer Teil der in Hameln lebenden russischen Juden ihr Judentum wieder gemeinsam feiern wollen.

Wie ein ehemaliger überzeugter Kommunist aus der Gemeinde sagte, „In der Ukraine, wusste ich, dass ich Jude war, weil ich einen ‚J‘ in meinem Pass hatte. Hier habe ich kein Merkmal mehr und lerne freiwillig, was es wirklich bedeutet Jude zu sein.“ Dohme fügt hinzu, dass er eines der aktivsten Mitglieder der Gemeinde geworden ist.