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Pensionierter Gärtner dient der Geschichte,
indem er die Grabstätte eines deutschen Juden

JTA News & Features
14. September 2006

aufzeigt Von Dinah Spitzer


Prag, 13. September — Vor etwas länger als einem Jahr dachte ein pensionierter Gärtner, er habe Krebs im Endstadium. In seinem Krankenhausbett liegend schaltet Josef Speckmann um 17 Uhr das Fernsehen an. Gerade berichtet Rachel Dohme, Vorsitzende der deutschen Jüdischen Gemeinde in Hameln, den Zuschauern, daß niemand wüsste, wo Siegmund Kratzenstein, ein bekannter jüdischer Bürger Hamelns voe dem 2. Weltkrieg begraben sei.

Dank an Speckmann, letze Woche fand eine Steinsetzung an Kratzensteins Grab statt, über 70 Jahre nach dessen Tod, und unter der Aufmerksamkeit der ganzen Stadt. Speckmann, der seine schwere Krankheit überstand, war mit dabei, die Früchte seines Mutes anzuschauen.

Das verlorene und wiedergefundene Grab bringt die Heldenhaftigkeit Einiger während der Nazi-Ära an das Tageslicht, und betont die anhaltende Wichtigkeit sich an die Schmerzen der Vergangenheit zu erinnern.

Kratzenstein, ein Arzt, war der letzte Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Hameln vor Dohme. Beliebt war er unter den nicht- jüdischen Stadtbewohnern für seine Freundlichkeit und seine unendgeldlichen Behandlungen für die Ärmeren, besonders für Kinder, was vielen Aussagenberichten zu entnehmen ist.

Speckmann, seinerzeit ein Gärtnerlehrling in Hameln, half der Jüdischen Gemeinde Kratzenstein in einer regnerischen Nacht im November 1938 auf dem jüdischen Friedhof zu begraben. Dr. Kratzenstein war zuvor an den Folgen der Verletzungen gestorben, welche die Nazis ihm im Konzentrationslager Buchenwald zugefügt hatten.

Die Nazis zwangen ihn, die niederbrennende Synagoge in der Kristallnacht anzuschauen, und verschleppten ihn anschliessend nach Buchenwald, wo man ihn mehrere Wochen folterte.

Über mehrere Jahrzehnte hatte Speckmann das Geheimnis des Begräbnissen für sich behalten. Ein Bekanntwerden dieser Tatsache hätte ihm unter Hitlers Terrorregime selbst das Leben kosten können.

Kratzensteins Sohn war nach Australien geflohen, um nie wieder nach Deutschland zurückzukehren, und auch diejenigen, welche an der Beerdigung teilgenommen hatten, waren lange Zeit unauffindbar. Das Grab war niemals gekennzeichnet, und die letzten 200 Mitglieder der jüdischen Gemeinde waren entweder umgebracht worden, oder geflüchtet.

Die in Pittsburgh geborene Rachel Dohme begann in den 90ger Jahren, das jüdische Leben in Hameln neu zu beleben. Durch das deutsche Immigrationsgesetz kamen Hunderte von russischen Juden in die Region, um jüdisches Leben in Deutschland neu anzusiedeln.

Teile ihrer Bemühungen zielten auf die Unterrichtung von Deutschen und Nicht- Deutschen, in wie weit sich die jüdischen Bewohner Hamelns vor dem Krieg für ihre Stadt einsetzten. Der Bürgermeister, die Lehrer und sogar die Schüler tauchten tief in die Bewusstmachung der jüdischen Geschichte Hamelns ein.

Unter großem öffentlichem Interesse trafen zu Beginn des Monats Kratzensteins Groß- Schwiegersohn, Harold Brown, und dessen Sohn, Kratzensteins Urenkel David aus Australien in Hameln ein, um der Grabsteinsetzung beizuwohnen und das Gedenken an einen Mann zu bewahren, welcher in vorbildlicher Weise die humanistischen Traditionen deutscher Vorkriegsgeschichte verkörperte.

„Die Schlagzeilen der Zeitungen bezeichnen ihn als einen ‚Heiligen‘“, sagte Speckmann. „Ich kannte ihn, und er war wirklich solch ein guter Mann.“

Weit entfernt in Australien leben Eva Brown und ihr Bruder Peter, beide inzwischen über 60 Jahre alt, und wussten lange Zeit nichts über ihren Großvater, den berühmten Hamelner Arzt. Evas Ehemann Harold (73 J.), verbrachte Jahrzehnte mit der Ahnenforschung seiner eigenen jüdischen Familie. Als er an einen toten Punkt gelangte, begann er mit der Ausgrabung jüdischer Wurzeln in der Familie seiner Frau.

Wie gut, dass es bereits eine Web- Seite über die Jüdische Gemeinde in Hameln gab, von Fr. Dohme eingerichtet. So war Brown in der Lage den Hinweis zu Kratzenstein wahrzunehmen.

„Er wurde mir selbst zum Großvater“, erklärte Brown, „so wichtig war er für mich“.

Während Brown Informationen von mehreren Staatsarchiven sammelte, begann eine Korrespondenz zwischen Dohme und Speckmann über Monate hinweg, welche in einem emotionalen Treffen auf dem Friedhof gipfelte, als der frühere Hamelner Bürger d ie Stelle von Kratzensteins Grab bekanntgab.

„Es stellte sich heraus, dass Speckmann ohne es zu wissen den guten Mann an einer Stelle begrub, welche für die wichtigsten Gemeindemitglieder vorgesehen war“, berichtet Dohme.

Eva und Peter Brown entschieden sich für die Grabsteinsetzung zu bezahlen, konnten aber leider aus gesundheitlichen Gründen der Grabsteinsetzung nicht beiwohnen. Sie hoffen aber, noch dieses Jahr das Grab besuchen zu können. Dafür war Harold Brown begleitet von Kratzensteins Ur- Enkel David (41), welcher ebenfalls ein Arzt ist.

„Die Mitglieder anderer Konfessionen entschuldigten sich bei mir, obwohl sie nach dem Krieg geboren sind; sie entschuldigten sich dafür, dass ihre Gemeinden nicht an Dr. Kratzensteins Seite gestanden hatten“, erklärte Brown.

Dohme berichtet, dass obwohl Kratzenstein ahnte, dass etwas Schreckliches passieren würde, er das Land vor 1938 nicht verliess, „ . . . weil er sich als Gemeindevorsitzender den Juden verpflichtet fühlte, die nicht in der Lage gewesen waren zu fliehen“.

Bernd Gelderblom, ein deutscher Historiker hat ein Buch über Hamelner Juden Geschrieben. Er berichtet, es habe Stadtbürger gegeben, die vor den Nazis protestierten, als Kratzenstein nach Buchenwald deportiert wurde. Sie verlangten seine sofortige Freilassung.

„Proteste dieser Art waren sehr selten. Vielleicht können Sie sich vorstellen, wie viel Kratzenstein den Menschen bedeutet haben muss, wenn sie bereit waren, solches für uns zu tun?“ fragt Gelderblom.

Dann ist da Speckmann, ein scheuer 83jähriger, der als 16jähriger von seinem Chef dazu gedrängt wird, „Ein Mensch zu sein“, und während der Nacht ein Grab auszuheben, obwohl das Gelände von Einem Militärgebäude der Nazis überschaut werden konnte.

„Sie könnten denken, was Speckmann tat sei nichts. Jedoch sprach ich mit Jemandem, welcher im Jahre 1938 Särge für Juden herstellte. Die Nazis brannten sein Haus nieder“, sagt Gelderblom.

„Ich bin kein Held, ich bin ein Niemand“, darauf besteht Speckmann.

Die deutsche Presse fragte David Brown, was er am Tag der Grabsteinsetzung seines Ur- Großvaters empfand. Darauf schaute er direkt in Speckmanns Augen und antwortete: „Ich bin stolz, dass Hameln bereit war, für seine Beerdigung das Gesetz zu brechen“.