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DewezetFreitag, 24.9.2010

Hameln

Ein Tag mit ganz besonderer Strahlkraft

Wolfhard F. Truchsess

Hameln. „Dieses wunderbare Wetter zum Richtfest unserer neuen Synagoge – das war ein Kuss Gottes.“ Rachel Dohme, die Vorsitzende der liberalen jüdischen Gemeinde in Hameln, kann ihre Freude kaum zum Ausdruck bringen: „Das ist Glücksgefühl pur und ein großer Mosaikstein auf dem Weg zu unserem neuen Gotteshaus. Man sieht: Es nimmt Gestalt an.“ Früher habe es geheißen, „hier war einst eine Synagoge – jetzt steht hier wieder eine Synagoge.“

Kaum fünf Monate ist es her, seit im Mai mit dem Bau der ersten liberalen Synagoge nach dem Krieg in Deutschland begonnen wurde. Die Bauleute aber haben flott gearbeitet. „Wir sind voll im Zeitplan“, erklärte Architekt Peter Nasarek, dessen Büro den von Frank Taylor entworfenen Bau seit Beginn der Ausschreibungen betreut. „Die Synagoge wird wie geplant vor Ende des Jahres bezugsfertig sein.“ Die offizielle Einweihung, bei der Kultusminister Bernd Altusmann anwesend sein wird, ist für den 20. Februar 2011 geplant.

Nicht von ungefähr fand das Richtfest gestern nach der Feier des jüdischen Laubhüttenfestes statt, wie Rachel Dohme bestätigt. Mit Sukkot, dem Laubhüttenfest, wird an den 40 Jahre dauernden Zug der Israeliten durch die Wüste nach der Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten erinnert. Die Laubhütte ohne festes Dach, erklärte Rachel Dohme in ihrer Ansprache, symbolisiere, dass das ganze Leben eine Pilgerreise und etwas Provisorisches sei. Deshalb sei es gut, von Zeit zu Zeit die Sicherheit der festen Häuser zu verlassen und sich bewusst zu werden, „wie sehr wir auf den Schutz Gottes angewiesen sind“. Das Richtfest wiederum „feiert das feste Dach unseres Hauses, dort, wo wir weiterhin unser religiöses, kulturelles und soziales jüdisches Leben miteinander in Hameln teilen können“.

Groß war die Zahl der Honoratioren der Stadt Hameln, Bundestags- und Landtagsabgeordnete. Kirchenvertreter und auch der Imam der Ditib-Moschee gaben der liberalen jüdischen Gemeinde die Ehre und würdigten in den Gesprächen die große Leistung, die mit dem Bau dieser Synagoge vollbracht werde. Gabriele Lösekrug-Möller, die zu den Gründern der Stiftung Liberale Synagoge Hameln gehört, erklärte, sie stehe hier „mit großem Herz und großer Freude“. Denn mit dem Neubau der Synagoge werde sichtbar, „dass die Wunde zu heilen beginnt“.

Besonders bewegt zeigten sich alle Redner über die große Gemeinsamkeit über die Religionsgrenzen hinweg, die den Bau erst ermöglicht habe. Tatsächlich spenden seit vielen Jahren Mitglieder der jüdischen Gemeinde ebenso wie Nichtjuden und viele Firmen für das Projekt, dessen Verwirklichung vor 15 Jahren, als die Gedenkstätte an der Bürenstraße eingerichtet wurde, kaum jemand erwartet hatte. „Aber jetzt steht hier mein jüdisches Haus“, freute sich gestern die 73-jährige stellvertretende Gemeindevorsitzende Polina Pelts. Sie stammt aus Odessa. „Dort hatten wir nie ein solches Haus. Hier geht jetzt ein Traum in Erfüllung.“

Oberbürgermeisterin Susanne Lippmann sprach von „einem Tag der unbeschreiblichen Freude, von einem Tag mit ganz besonderer Strahlkraft in unserer Stadt“. Der „kühne Bau“ im Herzen der Stadt setze ein selbstbewusstes Signal mit der zentralen Botschaft der liberalen jüdischen Gemeinde: „Unsere Heimat ist hier in Hameln – jetzt und in der Zukunft!“

Die Grüße des Kreistages und der Kreisverwaltung überbrachte Thorsten Kellner. Im Hinblick auf die Vergangenheit sei es eine historische Verpflichtung gewesen, 72 Jahre nach der durch Rassenwahn zerstörten Synagoge den Neubau am selben Platz zu errichten – „an diesem Ort des Unrechts wieder etwas Neues im Gedenken an das Alte aufzubauen“.

Auch zwei Augenzeugen der Zerstörung der alten Synagoge waren zugegen: die 80-jährige Marga Antoni und Hamelns ehemalige Oberbürgermeister Walter-Dieter Kock (84). „Welch ein Glück, dass ich diesen Tag heute hier erleben darf“, sagte Kock.

© Dewezet, 24.9.2010