Ein alter russischer Thora-Lesestift als Geschenk
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Rabbinerin Ulrike Offenberg hält den mehr als 200 Jahre alten Thora-Lesestift in ihren Händen. Er wurde der jüdischen Gemeinde von Alexandra und Traugott Grundmann geschenkt. |
HAMELN. Es ist ein symbolträchtiges, wertvolles Geschenk, das die liberale jüdische Gemeinde gestern zum Beginn des Chanukka-Festes aus den Händen des Hessisch Oldendorfer Ehepaares Alexandra und Traugott Grundmann erhielt einen im Jahr 1812 in Russland angefertigten Thora-Lesestift aus Silber. Entdeckt hatte den Jad, wie der Lesestift auf Hebräisch genannt wird, Grundmann-Sohn Christian auf einem gehobenen Markt für alte Sachen in Hannover, wie Traugott Grundmann gestern nach der Übergabe des Geschenks an die Gemeinde in der Synagoge an der Bürenstraße im Gespräch mit der Dewezet berichtete. Christian suchte ein besonderes Stück für unser eigenes Museum und erkannte, dass es sich um einen jüdischen Ritual-Gegenstand handeln könnte. Deshalb habe er das Silberteil erworben.
Als Jad, der hebräische Begriff für Hand, identifiziert wurde der Lesestift dann von Alexandra und Traugott Grundmann. Wir hatten das schon mal gesehen, dass das Instrument genutzt wird, um zu zeigen, welche Stelle der Thora gerade gelesen wird, erklärt Grundmann. Das liegt daran, dass insbesondere meine Frau sehr an jüdischer Geschichte und dem Judentum interessiert ist. Wir wohnen schließlich in einem alten jüdischen Haus. Es wurde im Jahr 1892 von Meier Blumenthal in Hessisch Oldendorf erbaut. Da lag es nahe, den Lesestift, der jüdischen Gemeinde zu schenken, zumal wir die Familie Dohme gut kennen und meine Frau mit Rachel Dohme, der Vorsitzenden der Gemeinde gut befreundet ist. Wir stehen dazu, dass der Opfer der Nazis gedacht wird und wir ein gutes Verhältnis zu unseren jüdischen Mitbürgern haben.
Mit dem Jad wird auch verhindert, dass das Pergament und die Tinte der Schrift mit der Fingerspitze berührt wird und mit Schweiß oder Schmutz in Berührung kommt, erläutert Rabbinerin Dr. Ulrike Offenberg. So hilft der Jad, dass die Thora nicht ausgelöscht, die jüdische Tradition bewahrt wird und die Thora an künftige Generationen weitergegeben werden kann. Als besonders symbolträchtig bezeichnet die Rabbinerin den uralten Thora-Lesestift, weil er wie viele der Gemeindemitglieder aus Russland stamme, wie Christian Grundmann anhand der Punzen, der Silberstempel, und des mit dem Zarenadler verzierten Stückes herausgefunden hat. Zum einen ist die Jahreszahl 1812 eingeprägt, zum anderen zwei kyrillische Buchstaben, vor allem aber die Qualitätsangabe 84. Sie steht für 84 Zolotniki, die damals in Russland gebräuchliche Angabe für den Gehalt an Silber. Umgerechnet bedeuten 84 Zolotniki ein 875er Silber.
Dass der Thora-Lesestift zu Chanukka übergeben wurde, hat mit der Tradition dieses hohen jüdischen Festes zu tun, an dem traditionell Geschenke verteilt werden. Chanukka erinnert an den erfolgreichen Aufstand der Makkabäer in den Jahren 167 bis 164 vor der Zeitenwende, wie im Judentum die Zeit vor Christi Geburt bezeichnet wird, gegen die Herrschaft der Griechen. Diese wollten die Juden zwingen, ihrer Religion abzuschwören und sich zu den griechischen Göttern zu bekennen. Den Brauch, den achtarmigen Chanukka-Leuchter von Tag zu Tag mit einer weiteren Kerze zu bestücken, erklärt Ulrike Offenberg mit der damaligen Wiedereinweihung des jüdischen Tempels in Jerusalem. Dort hätten die Priester nur noch eine Amphore mit Öl vorgefunden, das eigentlich schon nach einem Tag verbraucht gewesen wäre, wenn sie alle Lichter hätten brennen lassen. Neues Öl herzustellen, hätte acht Tage benötigt. Um dem Gebot genüge zu tun, die Lichter den ganzen Tag brennen zu lassen, habe man alles Öl verwendet, sich am nächsten und den darauf folgenden Tagen aber sehr gewundert, dass die Amphore sich nicht leerte. Offenberg: Das war das Wunder von Chanukka. Und jetzt erleben wir ein neues Wunder das Geschenk des Jad durch die Familie Grundmann.